"Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füge auch keinem anderen zu." - Warum ich Augenhöhe für so wesentlich halte

Immer wieder taucht in meinen Gesprächen und Beiträgen das Wort "Augenhöhe" auf. Nicht ohne Grund bin ich Mitorganisatorin des AUGENHÖHEcamps in Düsseldorf 2017 und plane 2018 eine erneute Durchführung für "den Westen Deutschlands". Denn je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr klingt mir der oben genannte Satz wieder in meinen Ohren, der meine Entwicklung von Kind auf leitete.

Und dieser Leitsatz - das Prinzip der Augenhöhe - charakterisiert auch meine berufliche Tätigkeit und das, was mich in meiner Arbeit treibt: Vorzuleben und aufzuzeigen, dass durch respektvollen Umgang auf Augenhöhe und durch selbstreflektiertes Handeln ein Miteinander und die Verfolgung gemeinsamer Ziele viel wirkungsvoller und effektiver sind als vieles, was wir aktuell in unserer Gesellschaft, Wirtschaft und Politik erleben.

Gleich vorweg: Predigen ist einfach, umsetzen ungleich schwerer. Schon in der Erziehung meines Kindes stoße ich immer und immer wieder an meine Grenzen und ertappe ich mich dabei, keineswegs immer partizipativ und auf Augenhöhe mit ihm zu agieren. Zum Glück ist es "dickköpfig" (vielmehr: charakterstark und integer) und hat gelernt, mich in die Schranken meiner Rolle als Begleiterin und Sparringspartnerin (statt Er-Zieherin) zu verweisen, meine Fehler liebevoll zu verzeihen und sich "einfach so" - übrigens gut! - zu entwickeln. Doch wie kann ich angesichts meiner Fehlbarkeit den Anspruch erheben, Führungskräfte, erwachsene Menschen und gar Organisationen und Teams zu zeigen, es besser als ich zu machen?

Warum fällt Umgang auf Augenhöhe so schwer?

Unser Verhalten ist geprägt von all den Erfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens gesammelt haben - als bewusst erworbenes Wissen in Lehrinstitutionen oder in der unbewussten Verarbeitung unserer Erlebnisse und der damit verbundenen Gefühle. Unser Hirn verarbeitet alles und entwickelt daraus Regeln, die unser Verhalten und Denken unbewusst steuern. Man spricht hier Klischees und Stereotype, denen jede/r von uns unterliegt, ob wir wollen oder nicht. Und die uns helfen, in einer dynamischen und komplexen Lebenswelt angesichts einer Vielzahl ständig zu treffender Entscheidungen handlungsfähig zu bleiben.

Doch wenn sich das Umfeld ändert - und das tut es in unseren Zeiten besonders stark -, dann verlieren manche Regeln schon mal an Gültigkeit. Vieles ist uns bewusst, und dort passen wir uns an und lernen das Neue. Der Mensch kann - wissenschaftlich nachgewiesen! - bis ins hohe Altern lernen. Doch gerade sehr früh angeeignete Grundannahmen sind uns nicht so leicht zugänglich, und diese stehen uns bei Anpassungsprozessen dann im Wege, ohne dass wir das merken.

So ist auch unsere Gesellschaft noch in weiten Teilen von Grundannahmen geprägt, die nicht mehr hilfreich sind: Unsere Stereotypen über die Rollen von Mann und Frau, die sich auch in Gesetzen, Moden, Sitten etc. manifestieren, führen beispielsweise zu einer relativ geringen Erwerbstätigkeitsquote von Frauen. In Zeiten des Fachkräftemangels und einer häufigen Rentenlücke bei Frauen nicht immer hilfreich für Unternehmen und unsere Gesellschaft als Ganzes. Unser Bild von Führung beruht häufig noch auf dem Bild des allwissenden Helden, der sowohl weise Entscheidungen für ganze Organisationen zu treffen als auch fürsorglich für die Organisationsangehörigen sich einzusetzen in der Lage ist. Das ist vielleicht hilfreich, um sich aus der Verantwortung zu stehlen ("Die da oben werden's schon richten."), weniger jedoch, wenn es darum geht, die unternehmerische Wettbewerbsfähigkeit und den eigenen Arbeitsplatz zu sichern. Unser Klischee der Stärken Deutschlands als Wirtschaftsnation ist u.a. geprägt vom Stolz auf die ingenieurwissenschaftlichen Leistungen. Nicht immer realistisch in einer VUKA-Welt, von neue Geschäftsmodelle ganze Industrien durcheinanderwirbeln.

Wesentlich ist, dass diese Bilder einmal zutreffend und hilfreich waren, in einer Zeit der Industrialisierung, in einer Zeit, in der Bildung noch nicht selbstverständlich war, in der noch nicht jeder dank Internet Zugriff auf (fast) alles Wissen hatte, in der Transparenz nicht selbstverständlich war. Doch wir sind nun im Zeitalter der Digitalisierung, in denen die Welt anders ist, und es gilt, unsere Grundannahmen zu überprüfen.

In der heutigen VUCA-Welt ist das mündige Mitdenken, Mitgestalten und Zusammenarbeiten aller Beteiligten Schlüssel zum Überleben.

Heutzutage gilt es, ganz nah am Kunden zu sein und ständig, schnell und adaptiv auf oft unplanbare Entwicklungen zu reagieren. Das zu bewältigen, bedarf der Hände, Ohren, Gehirne aller Beteiligten. Das erfordert Bildung, Bildung, Bildung - aber ganz wesentlich auch die Persönlichkeitsentwicklung aller, damit sie sich als mündige Personen begreifen und Mitgestaltungs-Verantwortung übernehmen. Für ihr Leben, für ihren Beruf, für ihr Umfeld. Jeder ein kleines bisschen und auf seine Weise ergibt in Summe ein enormes Kraftfeld. Dieses in seiner Vielfältigkeit und Dynamik zu koordinieren können wir allerdings nicht mehr nur einzelnen Führungskräften überlassen - denn das wäre nicht zu schaffen. Vielmehr gilt es, die Beteiligten zur Zusammenarbeit zu motivieren.

Zur Motivation verweise ich wie immer auf die Erkenntnisse der amerikanischen Harvard-Professoren Ryan und Deci: Jeder Mensch will in (s)einem Feld kompetent sein, benötigt ein gewisses Maß an Autonomie und will mit seiner Arbeit zu etwas Sinnhaftem, der Gesellschaft Übergeordneten beitragen. Ist dafür ein Umfeld geschaffen, sind Menschen motiviert, Verantwortung zu übernehmen und mitzugestalten.

Bei "Umfeld" denkt man dann vielleicht ganz schnell an die bunten, modernen und flexiblen Bürowelten, die aktuell an vielen Orten entstehen. An Unternehmen, in denen Mitarbeiter arbeiten können, wann und wo sie wollen. Doch viele Branchen und Berufe lassen solche Modelle nicht zu: Schichtmodelle, maschinenorientierte Produktionsabläufe und anderes stehen - vermeintlich - im Wege. Doch die Antwort "Das geht bei uns nicht", ist zu einfach und kurzgegriffen.

Was hilft, neue Bilder zu entwickeln: Empathie - die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen

Doch viel wirksamer, um angesichts von Fachkräftemangel, Veränderungs- und Wettbewerbsdruck in Ihrem Unternehmen die notwendige Verantwortungsbereitschaft, Kreativität und Willen zur Zusammenarbeit bei den Beteiligten zu entfesseln, ist im ersten Schritt die Entwicklung einer Haltung von Augenhöhe - und die Frage: "Was würde ich mir wünschen, wenn ich Kunde, Mitarbeiter, Zulieferer (oder ein sonstiger Stakeholder) wäre?" Es geht um die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen. Das fängt damit an, anderen wirklich zuzuhören. Mit voller Präsenz und möglichst, ohne beim Zuhören schon darüber nachzudenken, mit welchem schlauen Satz man antworten könnte. Und dabei seine Aufmerksamkeit nicht nur einigen Experten zu schenken, sondern allen relevanten Parteien. Es geht weiter darum, auf die Gemeinsamkeiten in den Anliegen der Beteiligten zu fokussieren. Hilfreich ist, die eigenen Bewertungen (die oft auf nicht hilfreichen Grundannahmen beruhen, s.o.) zu unterdrücken. Und all das endet nicht dabei, sich einfach mal auf Experimente einzulassen und aus den dabei gemachten Erfahrungen Erkenntnisse zu ziehen und zu lernen. Was übrigens Kern der vielen sog. agilen Methoden ist, von denen wir heute so viel hören.

Denn Empathie beruht auf der Fähigkeit, sich auf Augenhöhe mit anderen zu begeben.

Die Digitalisierung bietet uns - bei allen Risiken - die Chance, neu auszutarieren, wie wir in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik zusammenleben und unsere Zusammenarbeit gestalten. Wir sollten uns dabei nicht aus Angst vor der Ungewissheit und den Unsicherheiten spalten lassen. Vielmehr können wir nur gewinnen, wenn wir die Gemeinsamkeiten und Verbindungen zwischen uns klären und stärken, die so oft in Vergessenheit geraten (schauen Sie sich doch einmal dazu dieses Video an!). Denn das wird die Energien in den Menschen freisetzen, die uns helfen werden, die gegenwärtigen Herausforderungen gemeinsam zu meistern.

Und in diesem Sinne freue ich mich, in meiner beruflichen Tätigkeit immer wieder Gelegenheiten und Räume schaffen zu können, in denen Menschen sich auf Augenhöhe begegnen, austauschen und in Entdeckung der gemeinsamen Verbindungen gegenseitig zu unerwarteten Leistungen inspirieren. Im Coaching, in Teamentwicklungen, organisationalen Veränderungsprozessen oder in AUGENHÖHEcamps. Weiteres nicht ausgeschlossen...

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