Widerstände in Veränderungsprozessen: Manko oder Missverständnis?

"Widerstand" - ein Wort, das meist negativ behaftet ist. Dabei steht es doch für "trotz etwas Widrigem stehen bleiben" und damit für die Fähigkeit von Menschen, in schwierigen Zeiten aufrecht zu bleiben, auch wenn der Wind mal kräftig von vorne bläst. Neudeutsch und unter positiver Konnotation wird dies in der Managementliteratur heute Resilienz genannt - und i.d.R. wird eher ein Mangel daran beklagt.

Man sollte also meinen, dass die Fähigkeit, widerständig zu sein, in den heutigen Zeiten eine gefragte Kompetenz ist. In Zeiten, in denen wir uns angesichts der Digitalisierung gewaltigen Umbrüchen in unserer Arbeitswelt, aber auch in der Gesellschaft und Weltwirtschaft gegenübersehen. In Zeiten, in denen wir Musterbrecher, Querdenker und andere Innovatoren und Hofnarren eher suchen, um unsere Wirtschaft angesichts der Digitalisierung voranzubringen. Warum also ranken sich so viele Ängste um den Umgang mit Widerständen in Veränderungsprozessen?

Schaue ich mir die große Zahl der Change Management-Literatur und -Trainings an, ergibt sich: Widerstand ist etwas Lästiges, das insbesondere träge, rückwärtsgerichtete und faule Menschen aufführen, um Veränderungen zu blockieren und den Status Quo zu erhalten. Und um diejenigen zu ärgern, die doch ohnehin schon die Mühsal auf sich nehmen, Veränderungen voranzutreiben.

Ja, ich weiß, ich male gerade ein bisschen besonders schwarz. Mit guter Absicht: Denn wenn man es so deutlich übertreibt, zeigt sich, dass hier an mehreren Stellen Ansatzpunkte zu einem konstruktiveren Umgang mit Widerständen liegen:

Auf breite Unterstützung kommt es an, wenn gemeinsame Veränderung gelingen soll

Wenn sich diejenigen, die Veränderungen vorantreiben, als kleine Vorhut (oder gar Elite) wahrnehmen, die so ziemlich allein den Karren voranziehen, dann steht vielleicht das Vorhaben auf zu schwachen Füßen. Vielleicht haben sie zu wenig darauf geachtet, ihr Anliegen und ihre Ziele den Betroffenen (immer wieder) zu vermitteln und ihnen so die Dringlichkeit der Veränderung aufzuzeigen. Und dabei insbesondere ein Bild heraufzubeschwören, das für alle eine erstrebenswerte Zukunft aufzeigt; vielleicht gerade eines, das eine nachteilige Entwicklung, die bei einer Nicht-Veränderung einsetzen könnte, mehr als abzuwenden hilft?

Tja, es könnte aber auch sein, dass sie sich vielleicht verrannt haben in eine Idee, die sich vordergründig nett anhört, aber in ihrer Gesamtheit den Aufwand nicht wert ist oder gar weitreichende negative Konsequenzen hat, die sie womöglich übersehen haben? Was diejenigen, die "Widerstand" leisten (obwohl sie gutmeinend einfach nur ihre echte Meinung sagten), schon erkannt haben.

Oder vielleicht liegt es auch an der Haltung, die der Veränderung zugrundeliegt: "Wir (im Team der Change Leader) wissen schon, was gut ist; die (anderen im Rest der Organisation) sollen es bitte einfach und ohne Kommentare umsetzen." Das klingt von oben herab und spricht den "Umsetzern" die Kompetenz ab, auch zu wissen, was gut (für sie und für die Organisation) ist, und das eigene und gemeinsame Leben erfolgreich zu gestalten.

Doch das wird im digitalen Zeitalter immer weniger funktionieren. Denn künftig sind wir alle darauf angewiesen, schnell, kundenzentriert und unter Berücksichtigung aller Aspekte Entscheidungen im Alltag zu treffen. Und in einer vernetzen Welt das geht nur, wenn alle Parteien ihr Wissen, ihre Erfahrung und ihre Ideen zusammenbringen und sich gegenseitig in der Ausarbeitung von Lösungen inspirieren und ergänzen. Mit einer Haltung des "Gemeinsam geht's!"

Menschen sind kooperations- und veränderungsbereit bis zu dem Punkt, an dem ihre persönliche Integrität gefährdet wird.

Und das gilt auch für die Integrität von ganzen Organisationen. Wenn also der Aufbruch einer sog. Kritischen Masse nicht gelingt, ist auch Machtausübung, Zwang etc. nutzlos. Dann gilt es vielmehr, nochmal zu hinterfragen, was eigentlich erreicht werden soll. Dies mit allen (!) denjenigen zu teilen, deren Unterstützung nötig ist und deren Interessen davon berührt werden. Und es gilt zu fragen und wirklich zu ergründen, unter welchen Bedingungen oder Modifikationen sie die Ziele als erstrebenswert ansehen könnten. Wie also die gemeinsame Verbindung zwischen allen Interessengruppen hergestellt werden kann, die für eine gemeinsam getragene Veränderung notwendig ist.

Es geht also darum, Vertrauen zu haben, dass die Gemeinschaft ein gemeinsames Interesse am Überleben hat. Dass alle notwendigen Kompetenzen (auch die, noch dazuzulernen!) vorhanden sind.

Und ja, na klar, gibt es Menschen, die sind offener, die erreicht man besser, die kann man auch leichter ins Boot holen und die kann man sogar dazu veranlassen, andere zu überzeugen. Und solche, die sich schwerer tun - und sogar solche, die sich nicht überzeugen lassen und irgendwann dann das Boot verlassen. Aber diese ganzen Theorien, wen man zuerst ansprechen sollte, sind Change-Management-Gequatsche. Wer möchte, dass Mitarbeiter wie erwachsene Leute (die sie ja sind) mit anpacken, der muss sie auch wie erwachsene Leute behandeln: Sie informieren, sich mit ihren Argumenten und Ängsten auseinandersetzen, ihre Impulse aufnehmen und sie manchmal auch einfach machen lassen. Am besten nicht nur in 1-zu-1-Gesprächen, sondern ruhig auch in der ganzen Gruppe. Ihnen vertrauen eben. Und es dabei auch aushalten, dass Emotionen im Spiel sind, eigene und die der anderen, die den Prozess manchmal schwer auszuhalten machen.

Wenn Change Leader sich das nicht trauen, dann sollten sie mal überprüfen, woran das liegt: Vielleicht kann eine Schulung helfen, wie man Gespräche auf Augenhöhe führt und gute Mitarbeiterbeziehungen etabliert. Vielleicht ein Coaching, um den Mut zu finden, sich den eigenen Ängsten zu stellen. Vielleicht auch ein Dienstleister, der die Ausgestaltung und Moderation von Treffen und Veranstaltungen übernimmt. Der als Externer Dinge wieder in die Kommunikation bringen kann, die zum Tabu geworden sind, und manches bemerkt, was Interne schon garnicht mehr wahrnehmen.

Wenn es aber an einer Unternehmenskultur liegt, die über die Jahre in einem grundsätzlichen Gegensatz zwischen "oben" und "unten" resultierte? Wo alle eh nur auf Krawall gebürstet sind, weil der gegenseitige Groll schon schier unüberwindbar ist. Dann, ja dann sind überhaupt erst einmal vertrauensbildende Maßnahmen notwendig, um einen Austausch jenseits von Vorwürfen zu ermöglichen. Dazu gehört viel gegenseitiges Zuhören, sich Öffnen, Wertschätzung zollen, Missverständnisse und Fehler Eingestehen. Das ist dann allerdings auch der Worst Case, der (so hoffe ich) nicht der Alltag in unseren Unternehmen ist.

Für alle anderen gilt: "Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem anderen zu."

Eine einfache Maxime, die hilft, sich in andere hineinzuversetzen und damit abzuschätzen, wie man in Veränderungsprozessen und auch sonst behandelt werden möchte. Die hilft, Widerstand als etwas anzunehmen, das eine wichtige Funktion hat: Nämlich Aufmerksamkeit zu lenken auf Themen, die sich womöglich für alle Beteiligten lohnen zu adressieren.

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